MEINUNG & FREIHEIT *
I.
Die Hass säen
die hass säen
verdammt aber auch die
welche den boden bereiten
dass die saat aufgeht
die hass säen
lehnt ab aber auch die
welche sie lobsingend hätscheln
mit kameras und mikrofonen
die hass säen
wählt nicht aber auch die
nicht welche um Stimmen zu ködern
nachbeten hetzerparolen
die hass säen
bekämpft aber auch die
welche den hass militärisch
nutzen zum angriff
die hass säen
verflucht aber auch die
welche die handschellen schmieden
und kerker bauen
die hass säen
entlarvt aber auch die
welche euch ausspionieren
mit staatstrojanern und facebook
die hass säen
verlacht aber auch die
denen das lachen im hals steckt
weil sie furchtsam gehorchen
die hass säen
nehmt ernst aber auch jene
die den ernst ihrer lage
blind unterschätzen
II.
Kein Gewehr
entartete kunst heißt versifft
arisch identitär
wen es besonders betrifft
der trägt kein gewehr
er hat nur das wort zur hand
das gedicht und ein lied
wird aus dem land verbannt
oder er flieht
oder sie drucken ihn nicht
seine texte nimmt keiner wahr
kein feuilleton bespricht
den weckruf der ungehört war
dichter sind ich-agenten
künstler beliefern den markt
statt sich dagegen zu wenden
wirken sie eingesargt
schriftsteller/innen verzagt nicht
steht auf und rebelliert
gegen die nazis versagt nicht
schreibt an gegen sie unbeirrt
entartete kunst heißt versifft
arisch identitär
die es vor allem betrifft
schultern noch nicht das gewehr
III.
Eisernes Tor
wer ein recht zu haben meint
auf die freiheit der meinung
ob singend tanzend durchs wort
durch die blume duftbunt
wer ein recht zu haben meint
abscheu zu äussern gegen den kaiser
die macht den herrschenden clan
die unordnung auf dieser welt
wer ein recht zu haben meint
auf die eigene sicht der dinge und menschen
der sonne und der planeten
der sklaverei und der knechtung der armen
wer ein recht zu haben meint
zu meinen und deinen und unseren
freuden glück und aller verzückung
laut zu erheben die stimme
wer ein recht zu haben meint
den wald besingen zu dürfen das meer
die schlieren am himmel den tod
9/11 und den dschihad
wer ein recht zu haben meint
auf die freiheit des meinens liebkose
die freiheit die schwester
von brüderlichkeit und von gleichheit
wer ein recht zu haben meint
auf die freiheit der rede des wortes
enthalte sich der verachtung
und er meide hetze und hass
denn hass hetze verachtung
sind hass hetze verachtung
sind das eiserne höllische tor
zum kerker von freiheit und liebe
IV.
Die sich berufen auf Rosa L.
Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden.
Rosa Luxemburg
hass heißen sie meinung
den hass auf muslime
den hass auf geflüchtete
den hass auf die darstellerin mit raute
vor-urteile pflegen sie meinung zu nennen
religiöse vorurteile
rassistische vorurteile
nationalistische vorurteile
als meinung kaschieren sie ihre verachtung
des minderheitenschutzes der demokraten
der wissenschaft und der kritik
der philosophie und der ethik
dummheit spricht aus ihren meinungen
die dummheit der kameradschaft
die dummheit von pegida
die dummheit von gauländer und gauführer
niederträchtig ist ihre meinung
niederträchtig ihr hass
niederträchtig sind ihre vorurteile
niederträchtig ist ihre verachtung
niederträchtig die bosheit all jener
die sich verschlagen berufen
auf die worte von rosa luxemburg
welche ermordet wurde
von rechten schlägern
[In der gelesenen Fassung des Gedichts heißt es: „welche ermordet wurde von ihresgleichen“. Da diese Formulierung missverständlich interpretiert worden ist, habe ich den Text geändert und unmissverständlich deutlich gemacht, wem die Ermordung von Rosa Luxemburg anzulasten ist: den auf das Recht der Meinungsfreiheit sich verschlagen berufenden Feinden der Meinungsfreiheit.]
* Der Gedichte-Zyklus Meinung & Freiheit entstand angesichts jener Unverfrorenheit, mit der die Meinungsfreiheit von denjenigen eingefordert wird, die erklärtermaßen Feinde der Meinungsfreiheit sind und diese abschaffen werden, wenn sie es – dank der von ihnen beanspruchten Meinungsfreiheit – schaffen, mit Hilfe ihrer Propaganda und skrupellos, an die Macht zu kommen. Die Texte wenden sich an uns alle, vor allem aber an Schriftstellerinnen und Schriftsteller, an die Kulturschaffenden …