In den zurückliegenden dreißig Jahren hatte es die politische Lyrik in Deutschland nicht leicht. Nachdem Erich Fried 1988 gestorben war, verfiel die politische Lyrik in Westdeutschland in ein Schlummerdasein. Das wurde noch vertieft durch das Aus der DDR 1990, denn dort gab es immerhin noch politische Lyrik. Sie war sogar angesehen und in den Volkseigenen Betrieben gab es Zirkel Schreibender ArbeiterInnen. Dann wurde die Industrie in Ostdeutschland entsorgt und mit ihr die politische Lyrik. In den 90er und Nuller Jahren grassierte der neoliberale Wahn und an fortschrittliche Lyrik war kaum zu denken. Angesichts dieser Vorgeschichte ist es erfreulich zu sehen, dass jetzt wieder politische Lyrik aufblüht, zum Beispiel mit dem schön gestalteten Buch »Aus gegebenem Anlass« von Rudolph Bauer.
Rudolph Bauer ist Politikwissenschaftler. Er war Professor an der Universität Bremen. Gleichzeitig ist er ein erfahrener Lyriker, der schon mehrere Gedichtbände veröffentlicht hat. Daher kann man einiges von ihm lernen. Zum Beispiel über den spielerischen Einsatz verschiedener Gedichtformen. Der Autor verwendet Haikus, Aphorismen, Distichen und Sonette. Auch Sprachspielerisches bis zum Poetry Slam. Auch der Rückblick in die Geschichte kommt häufig vor. Dabei muss man bedenken, dass sich politische Lyrik grundsätzlich von politischer Essayistik unterscheidet. Lyrik ist verknappt und kondensiert, während die Essayistik alle Aspekte eines Themas in Sätzen und Absätzen ausführlich ausleuchtet. Bei der Lyrik müssen die LeserInnen noch intensiver mitdenken, haben aber auch mehr Freiheit zu assoziieren.
Speziell politische Lyrik ist ein schwieriges Gebiet der Lyrik, weil der Autor bzw. die Autorin Stellung beziehen und damit automatisch ins Schussfeld der politischen Auseinandersetzung geraten. Daher sind die meisten LyrikerInnen viel zu ängstlich für politische Lyrik, besonders für linke politische Lyrik. Heute fragt man sich wieder, wann die Nazis in Deutschland die Wahlen gewinnen und an die Macht kommen, und wann man als Dichter wieder ins KZ gesperrt und gefoltert wird. Ein politischer Dichter zu sein ist in Deutschland bekanntlich lebensgefährlich. Politische Lyrik ist nur was für Mutige. Die Angsthasen schreiben lieber Naturlyrik oder Liebeslyrik. Wem es in der Küche zu heiß ist, sollte nicht Koch werden. Das gilt übrigens noch mehr für VerlegerInnen. Die haben die German Angst und Selbstzensur schon so verinnerlicht, dass sie politische Lyrik meiden wie der Teufel das Weihwasser.
Bei Rudolph Bauer trifft man auf echte politische Lyrik, die nicht weichgespült ist. Thematisch ist das Buch sehr vielfältig, geht aber immer vom Denken der Friedensbewegung aus. Das Schwergewicht liegt auf Gedichten gegen den Krieg und gegen die Rüstung und Waffenexporte. Dem Buch voran gestellt ist ein Zitat von Bert Brecht aus der „Rede für den Frieden“ von 1952:
„Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.“
In diesen Worten von Brecht kann man schon den scheinbaren Widerspruch erkennen: Man muss unfriedlich sein, um den Frieden zu erreichen.
Mehr am Rande werden weitere heiße Eisen wie die Geflüchteten, der Verfassungsschutz, Europa, Israel und der Islam angesprochen. Aber diese Themen haben letztlich auch etwas mit Krieg und Frieden zu tun. Etwas aus dem Rahmen fällt das Gedicht über den indischen Elefantengott Ganesha, bei dem man an die friedlichen Dickhäuter denken muss, die leider vom Aussterben bedroht sind, weil sie wegen ihres Elfenbeins abgeschossen werden. Eine weitere Gruppe bilden Gedichte auf Dichtergenossen.
Der Autor ist Kriegsgegner. Bundeswehrwerbung in Schulen ist ihm ein Graus. Gegen Ende das Buches findet sich noch ein Aufruf von Rudolph Bauer:
„schriftsteller/innen versagt nicht
steht auf und rebelliert
gegen die nazis verzagt nicht
schreibt an gegen sie unbeirrt“
steht auf und rebelliert
gegen die nazis verzagt nicht
schreibt an gegen sie unbeirrt“
Den Abschluss des Buches bildet ein literaturgeschichtlicher Essay von Thomas Metscher über politische Lyrik. Summa Summarum: Ein interessantes Buch mit vielen Anregungen, vielleicht sogar ein Meilenstein der friedensbewegten Dichtung. Der Autor liest aus dem Buch in folgenden Youtube-Videos:
https://www.youtube.com/watch?v=WR-TSB6-dlg (Dauer: 9’18“).
https://youtu.be/Fnd0ijizOCw (7’18“).
https://www.youtube.com/watch?v=WR-TSB6-dlg (Dauer: 9’18“).
https://youtu.be/Fnd0ijizOCw (7’18“).
Rudolph Bauer/Thomas Metscher: Aus gegebenem Anlass.
Gedichte und Essay. Hamburg 2018. tredition. 194 Seiten.
ISBN 978-3-7469-7155-1.