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Aus gegebenem Anlass

Gedichte und Essay

Rudolph Bauer, Thomas Metscher
Lyrik & Poesie

Hier erhältlich! Als Hardcover, Paperback und E-Book.

Seit dem Ende der Aufklärung hatte die kulturelle Elite in Deutschland lange ein äußerst problematisches Verhältnis zum Politischen. Das zeigte sich nicht zuletzt in der abschätzigen Einstellung zu politischer Kunst. Dennoch gibt es im deutschen Sprachraum die Tradition engagierter Literatur, auch politischer Lyrik. Sie geht zurück auf das hohe Mittelalter, die Reformationszeit sowie auf die Arbeiter- und die Friedensbewegung. Für die Bundesrepublik lassen sich Erich Fried und Franz Josef Degenhardt nennen, für die DDR Franz Fühmann, Peter Hacks, Heiner Müller und Volker Braun.

Rudolph Bauers Gedichtband ist vielfach mit dieser Tradition verbunden. Bereits der Titel Aus gegebenem Anlass gibt die operative Programmatik vor. Formal und inhaltlich schließen die Gedichte an klassische Vorbilder der situationsgebundenen Dichtung an: in ihrer Prägnanz und dem packenden Zugriff des Verfahrens, der Einfachheit und Konkretion von Stil und Strophenform. „Es ist eine Einfachheit, die die Komplexität einschließt“, bemerkt Literaturwissenschaftler Thomas Metscher in einem erklärenden Essay am Schluss des Gedichtbandes.

Bauers Poesie verbindet Gegenwärtiges und Vergangenes. Treffend verweist Metscher darauf, wie ungebrochen die in den Texten zum Ausdruck gebrachte Macht der Tradition hineinwirkt in unsere Gegenwart. Dieser Gesichtspunkt berühre das Herzstück der Texte: „Immer wieder und immer neu geht es um die Gegenwart des Vergangenen: die Kontinuität von Militarismus, imperialer Gewaltpolitik und die Rolle der Ideologien in ihnen; von Kolonialismus, Faschismus, ihrer Restauration in der Bundesrepublik Deutschland.“

Es geht nicht mehr nur um das Hier und Jetzt der deutschen Gegenwart als Wiederkehr von Vergangenem. Die lyrische Bedeutung der Gedichte erschließt grenzüberschreitend Bilder und Gedanken sowohl aus dem Erfahrungsarchiv anderer Kulturen als auch des Zukünftigen. Indem die utopische Dimension aufscheint, überwindet politische Dichtung das Hier und Jetzt.

Besprechungen des Bandes hier.

Lesung mit Gedichten aus den Jahren 1918 ff.

„Es lebe der Frieden!“ – Novemberrevolution und Rätebewegung 1918

am 4. November 2018 (Sonntag) um 17:00 Uhr; Ort: Villa Ichon, Goetheplatz, Raum 5 (Ausstellungsräume der Bilder „Das Karma der Wände“ von Ulrich Schwecke)

Am 4. November vor einhundert Jahren erhoben sich die Kieler Matrosen und forderten den Frieden. Das Datum markiert den Anfang der Novemberrevolution 1918. Soldaten-, Arbeiter- und Bauernräte standen am Beginn der demokratischen Entwicklung in Deutschland. Sie erreichten das Ende des Krieges, die Abschaffung der Monarchie, den 8-Stunden-Tag und die Einführung sowohl der Rede- und Pressefreiheit als auch des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts für Männer und Frauen.

Zur Erinnerung an die Rätebewegung sowie zur Feier des Friedens und der demokratischen Errungenschaften der Novemberrevolution findet am Sonntag, den 4. November, um 17 Uhr in der Villa Ichon eine Lesung statt. Es werden Texte aus der Zeit der Rätebewegung vorgetragen: Erinnerungen an die Grausamkeiten des Weltkrieges, Beispiele für die politischen Hoffnungen und sozialen Erwartungen der Arbeiter und Soldaten, aber auch Rückblicke auf die Gründe für die Niederlage der revolutionären Bewegung und für das an ihren Verteidigern verübte Massaker, welches auch in Bremen seine Blutspuren hinterlassen hat.

Gelesen werden Texte von Revolutionären wie Kurt Eisner, Erich Mühsam, Ernst Toller und Karl Liebknecht. Die tödliche Fratze des Krieges zeigt sich in Gedichten und Kurzprosa von Arno Holz, Kurt Schwitters, Otto Nebel, Karl Kraus und Carl Einstein. Aus der Rückschau äußern sich Kurt Tucholsky, Erich Kästner und Alfred Döblin. Die Werke all der genannten Schriftsteller wurden nur 15 Jahre später nach der Novemberrevolution, am 10. Mai 1933, von den Nazis verbrannt. Auch daran soll die Lesung angesichts erneuter faschistischer Verbrechen sowie der ihnen dienstbaren Ideologien und Institutionen erinnern und einen Beitrag zum Widerstand dagegen leisten.

Zum Besuch der Lesung, die auf Initiative des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller stattfindet und in Kooperation mit dem Bremischen Literaturkontor ermöglicht wird, laden die sieben Mitglieder des Lesekollektivs, ferner das Bremer Friedensforum und das Literarische Quartier (LitQ) ein.

Der Eintritt ist frei.

Kunst now!

Bremer KünstlerInnen präsentieren ihre Werke

18. Mai bis 14 Juli 2018
Freitags 15–19 Uhr und Samstags 12–18 Uhr

Vernissage am Samstag, den 12. Mai 2018 um 18 Uhr

Mit Werken von Conny Himme, A. V. Müller, Neeharika Hossain, Rudolph Bauer und Onil Hossain

ARTsixty! Art of Life Galerie
Martinistraße 60
28195 Bremen
www.artsixty.de

Wie Luzifer aus dem Himmel

Segerers Aphorismen

„Wie Luzifer aus dem Himmel“ heißt der Titel einer Aphorismen-Sammlung aus dem Büro Wilhelm Verlag in Amberg. Verfasser ist Alois Segerer (1938-2015), der ehemalige Rathausreporter der Münchner Abendzeitung. Ausgewählt, zusammengestellt, mit Überschriften und einem Vorwort versehen hat den Aphorismen-Band Rudolph Bauer, Segerers Freund aus der gemeinsamen Amberger Schulzeit am Humanistischen (heute Erasmus-)Gymnasium.

Quelle der bibliophil gestalteten Aphorismen-Sammlung sind fünf Notizbücher aus dem Nachlass von Alois Segerer. In diesen Quartheften hat „Sesch“, beginnend in den 1960er-Jahren, mit spitzer, aber leichter Feder vielfältige Gedanken, Wortspiele, Spontaneinfälle und Fundstücke aufgespießt und festgehalten. Dabei geht es dem Aphoristiker nicht allein um Politisches und Öffentliches, sondern um nahezu sämtliche Facetten des Lebens, der Gesellschaft und des Kosmos – um Gott und die Welt. Seine Gedankensplitter zeigen den Autor in scharfsinniger Selbstbeobachtung als Kind und Jugendlichen, als Liebenden und Verliebten, als Dichter und Leser, im Alter und angesichts der Sterblichkeit.

Ermöglicht wurde die Herausgabe von „Segerers Aphorismen“ – so der Untertitel des Bandes – durch die Subskriptionsbereitschaft von Freunden, Gönnern und Kollegen aus Amberg, München, Bremen und vielen anderen Orten, wo Menschen mit Bezug zum Autor und zum Herausgeber leben und es zu schätzen wissen, was Aphorismen ausmacht: brillante Geistesblitze und ironische Topoi, akrobatische Wortjonglage und melancholische Redensarten, lockere Sprüche und bittere Wahrheiten, fein Gesponnenes und spöttische Sarkasmen. Ein Buch, in dem lesend zu blättern ein Vergnügen mit Abstürzen bereitet.

Wie Luzifer aus dem Himmel. Segerers Aphorismen. Ausgewählt, zusammengestellt, mit Überschriften und einem Vorwort versehen von Rudolph Bauer (Hrsg.). Foto: Uli Wähner. Amberg: Büro Wilhelm Verlag 2017. 56 Seiten, 9,90 Euro. ISBN 978-3-943242-82-9

Für Frieden – gegen jeden Krieg!

Friedenskundgebung, Samstag, 15. April 2017 in Delmenhorst

Täglich werden wir konfrontiert mit Bildern von Kriegen in aller Welt. Inzwischen sind auch die Staaten Europas von diesen Kriegen unmittelbar oder mittelbar berührt, sei es durch die Beteiligung eigener Truppen, die Lieferung von Kriegsgerät oder die Aufnahme von Geflüchteten. Deutschland ist durch Militäreinsätze in 15 Staaten sowie durch die Rekord-Rüstungsexporte maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt.

Zahlreiche Delmenhorster Organisationen haben sich erneut zusammengeschlossen um ein Zeichen zu setzten für Frieden und gegen jeden Krieg!

Am Ostersamstag, 15. April 2017, 11 Uhr findet daher eine Friedenskundgebung auf dem ZOB am Bahnhof Delmenhorst statt.

Wirtschaftliche, sowie inner- und zwischenstaatliche Konflikte müssen gewaltfrei und diplomatisch gelöst werden. Wir brauchen eine Politik die Koexistenz und nicht Krieg fördert.

Seit sechs Jahren dauert das Kriegsgeschehen in Syrien an. Davon betroffen sind neben den Kriegsschauplätzen auch die Nachbarstaaten, darunter im erheblichen Umfang die Türkei. Die Kundgebung soll aber nicht nur das Kriegsgeschehen und die kaum vorhandenen Friedensbemühungen in Syrien thematisieren, sondern ein Zeichen setzen gegen kriegerische Auseinandersetzungen weltweit.

Wir rufen alle am Frieden interessierten Delmenhorster Einwohnerinnen und Einwohner dazu auf, den Samstagvormittag dafür zu nutzen, öffentlich die eigene Friedensbereitschaft zu dokumentieren.

Redebeiträge:

DIDF Delmenhorst
(Türkischer Arbeiterverein)

Prof. Dr. Rudolph Bauer
(Bremer Friedensforum)

Dialogos e.V.
(Griechisch-Deutscher Kulturverein)

Mitveranstalter:

DIDF, DIDF-Jugend, SV Bar, DGB Stadtverband Delmenhorst,
Breites Bündnis gegen Rechts, Dialogos e.V., DIE LINKE. Delmenhorst,
Linksjugend [´solid], SPD Delmenhorst, Jusos, DKP Delmenhorst

Commedia Divina: Inferno, Purgatorio, Paradiso

Ausstellung vom 16. Februar bis 1. April 2017
in der Villa Ichon, Goetheplatz 4, 28203 Bremen

Öffnungszeiten: Montag bis Samstag 11-13 Uhr, Mo bis Fr 16-20 Uhr

Die drei Ausstellungsräume der Villa Ichon am Goetheplatz zeigen vom 16. Februar bis 1. April eine Installation zu Texten der Göttlichen Komödie des italienischen Dichters und Philosophen Dante Alighieri. Dante wurde 1265 in Florenz geboren. In seiner Geburtsstadt bekleidete er hohe politische Ämter. Als politisch Verfolgter musste er 1301 seine Geburtsstadt verlassen. 1307 – vor genau 710 Jahren, woran die Ausstellung erinnert – begann er mit der Niederschrift der 1320 vollendeten „Divina Commedia“. 1321 ist der Exil-Politiker und Schriftsteller in Ravenna gestorben.

Der von Dante gewählte Titel „Commedia“ deutet – anders als heute Komödie oder Comedy – auf den glücklichen Ausgang der literarischen Jenseitswanderung hin, die er in Begleitung des römischen Dichters Vergil unternommen hat. Der Gang führte ihn vom „Inferno“ in das „Purgatorio“ und von dort in das „Paradiso“: von der Hölle über den Läuterungsberg in den Himmel. Das lobende Beiwort „göttlich“ bekam die „Commedia“ erst später durch den italienischen Schriftsteller Giovanni Boccaccio (1313-1375), der damit würdigte, dass Dantes bedeutendstes Werk der Dichtkunst nicht, wie es damals üblich war, auf Latein verfasst war, sondern in der italienischen Volkssprache, also auch der gesamten Bevölkerung zugänglich.

Die Göttliche Komödie ist nicht nur ein großartiges und viel bewundertes Werk der italienischen, europäischen und Weltliteratur. Sie stellte ursprünglich eine Art poetische Abrechnung des im Exil lebenden Dante mit seinen geistlichen und politischen Gegnern dar, mit der Kirche und den weltlichen Herrschern. Dieser Aspekt der „Commedia“ ist eine der Brücken zwischen Dantes Werk und der Gegenwart, auf die es dem ausstellenden Künstler in besonderer Weise ankommt. In den „Inferno“- und „Purgatorio“-Räumen der Villa Ichon stellt Rudolph Bauer eine Vielzahl von Bildmontagen aus, die in kritischer Absicht auf einzelne Persönlichkeiten der Politik und auf besondere politische Ereignisse im 20. und begonnenen 21. Jahrhundert Bezug nehmen. Im dritten Raum werden Arbeiten auf Papier gezeigt, die im Gegensatz zu den Exponaten in den vorausgehenden Räumen in buntfarbig schwebender Weise eine spirituelle Dimension sichtbar machen, wie sie von Dante im Paradies-Teil seiner „Commedia“ besungen wird.

Den Bildern sind als Titel Textstellen aus unterschiedlichen Übersetzungen der „Commedia“ ins Deutsche beigegeben, ausgewählt durch den ausstellenden Künstler. Zu den Übertragungen aus dem Italienischen gehören neben wortgetreuen Prosatexten literarische Nachdichtungen von Stefan George (1868-1933) und Otto Gildemeister (1823-1902), des Bremer Schriftstellers, Senators und Bürgermeisters.

Ein besonderes Merkmal der Kunstausstellung, die am 16. Februar um 19:30 Uhr eröffnet wird, sind ihre vielfältigen Bezüge, die sich auf der Grundlage des visuellen Materials und Texte herstellen lassen: der Zusammenhang zwischen der Zeit Dantes und heute, zwischen Himmel und Hölle, Schrecken und Glück, Diesseits und Jenseits, Macht und Exil, Politik und Literatur, der Schriftstellerei und der bildenden Kunst, Italien und Deutschland, den Übersetzern und Autoren der europäischen, der deutschen und der bremischen Literaturgeschichte.

„Rüste – Wüste“

Fotocollagen von Rudolph Bauer

Von Reiner Diederich in BIG Business Crime 4-2016 

Am 26.9.2016 wurde im Frankfurter Club Voltaire unter dem Titel „Wir leben mitten im Krieg“ eine Ausstellung militarismuskritischer Collagen von Rudolph Bauer eröffnet. Im Folgenden dokumentieren wir die Rede zur Eröffnung, die nach einigen allgemeinen Anmerkungen über die Methode der Fotomontage und der Fotocollage auf die ausgestellten Montagebilder Rudolph Bauers einging. Rudolph Bauer war bis 2002 Hochschullehrer an der Universität Bremen. Als Politik- und Sozialwissenschaftler hat er sich auch in seinen Veröffentlichungen mit der „Militarisierung im Digitalen Zeitalter“ auseinandergesetzt. Im nächsten Heft werden wir einen Beitrag von ihm zu diesem Thema bringen. 

Die Fotomontage entstand wie die ihr verschwisterte Fotocollage nach dem Ersten Weltkrieg aus der Erfahrung heraus, dass die „alte Welt“ in Trümmern lag und die traditionellen Formen, Kunst zu machen, nicht mehr angemessen erschienen. Der Dadaismus als Reaktion darauf brachte die Montage als neue Kunstform hervor. Hannah Höch und andere entwickelten die Fotocollage als mehr oder weniger assoziationsoffene Zusammenstellung von Foto- und Textfragmenten. John Heartfield und andere entwickelten die Fotomontage, die oft auf den ersten Blick selbst wie ein Foto wirkt und immer eine gezielte Botschaft vermitteln will.

Die Geschichte der Fotomontage in der Nachfolge Heartfields war seither eng mit sozialen Bewegungen verbunden – den alten wie den neuen. Nach 1968 erlebte die politische Fotomontage in der Bundesrepublik noch einmal eine Blüte. Zu nennen sind hier vor allem Jürgen Holtfreter, Ernst Volland und Klaus Staeck. Mit dem Schwächerwerden linker Bewegungen verloren auch deren Arbeiten an Resonanz.

Als bildnerische Methode, um bestimmte Effekte zu erzielen, ist die Fotomontage heute allgegenwärtig – in der Werbung, in der Presse, im Fernsehen, im Internet, in dem, was man „soziale Medien“ nennt. Mit den Mitteln digitaler Bildbearbeitung scheint inzwischen alles möglich zu sein. Durch das nahtlose Zusammenfügen von disparaten fotografischen Elementen werden überraschende Wirkungen erreicht und Phantasiebilder erzeugt. Früher musste dafür noch ausgeschnitten und geklebt oder im Fotonegativ überblendet werden. Die Schnittkanten wurden retuschiert, wenn die Montage wie ein Originalfoto wirken sollte, was den visuellen Schock für die Betrachter verstärkte, der sie zu einer Erkenntnis führen sollte.

Heute bewirken die allgegenwärtigen Montagen nur noch schwache Schocks oder überhaupt keine mehr. Alles kann Fantasy sein, Schein oder Design, virtuelle Realität oder der tägliche Alptraum, an den man schon gewöhnt ist. Im Tatort „HAL“ vom 28. August dieses Jahres, der von einem sich potentiell verselbständigenden Computerprogramm handelte, sagte einer der Ermittler zum anderen: „Wir haben es nicht mehr nur mit einer Welt zu tun, sondern mit zweien.“ Wie bringt man die wieder zusammen?

Die Frage nach der Wirklichkeit oder gar nach der Wahrheit erscheint da obsolet. Allenfalls das Foto-Dokument oder das Dokumentarfoto wirken noch handfest und „echt“, obwohl Brecht schon in den 1920er Jahren festgestellt hat, dass „weniger denn je“ ein Foto der Krupp- Werke etwas über sie aussagt – über die Realität der Produktionsprozesse und der Ausbeutungsverhältnisse in ihnen oder die Besitzerschaft an ihnen. Es sei deshalb „etwas aufzubauen“, etwas „Künstliches, Gestelltes“, es sei eben Kunst notwendig, um durch den Schein des Authentischen, den Fotos verbreiten, zum Kern der Sache vorzustoßen.

Was ist heute notwendig, um den visuellen Schleier zu lüften, der sich über die Verhältnisse legt? Da er selbst schon weitgehend aus Bildmontagen besteht, müsste der Schnitt, der sie auseinander nimmt, damit sie in aufklärender Absicht neu zusammengesetzt werden können, sezierend sein, Teil einer Dekonstruktion. Die bloße satirische Demontage oder das Umfunktionieren von fotografischen Vor-Bildern reichen kaum noch aus. Das Verfahren des Montierens selbst muss für die Betrachter durchschaubar gemacht werden, damit sie etwas über die Techniken lernen, mit denen sie alltäglich manipuliert werden sollen.

In dieser Situation sind assoziationsoffenere Verfahren, die sich eher an der Fotocollage als an der traditionellen politischen Fotomontage orientieren, vielleicht besser geeignet. Sie gehen spielerischer mit dem Bildmaterial um, verschmähen die surreale Pointe nicht, regen die Phantasietätigkeit der Betrachter an, verdecken nicht, wie sie gemacht sind und verfremden doch die Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit, wie es Ernst Bloch für das „Prinzip Montage“ formulierte.

Rudolph Bauers Arbeiten sind von dieser Art. Er montiert noch handwerklich, die Bruchkanten bleiben sichtbar, Glättung und Foto-Ähnlichkeit werden nicht angestrebt. Bauer bezieht Abbildungen von Gemälden und Grafiken mit ein, was seinen Bildmontagen eine weitere historische und ästhetische Tiefendimension verleiht. Da ist dann der Vergleich mit der hohlen Schönheit von Werbe- und Mode-Models, die er oft kontrastierend ins Bild setzt, besonders krass. Seine Themen sind die alten Themen der politischen Fotomontage: Oben und unten, die Verhältnisse der Klassen, der Krieg und seine Profiteure. Ein Schwerpunkt liegt auf der Militarisierung der Gesellschaft und der heute alles überziehenden, flächendeckenden Warenästhetik. Beides wird in eine spannungsreiche Beziehung gesetzt.

Auch andere Fotomonteure haben bei den bunten Bildern der Werbewelt angesetzt, um sie mit der häßlichen Realität kapitalistischer Verhältnisse zu konfrontieren – José Renau etwa in „Fata Morgana USA“ und, auf seine lapidare Weise, Klaus Staeck. Neu ist bei Rudolph Bauer, dass er dem „schönen Schein“ gewissermaßen ein Eigengewicht, ein Eigenrecht belässt bei aller ironischen Brechung oder polemischen Destruktion.

In dem vom Bremer Friedensforum herausgegebenen Ausstellungskatalog „‚Rüste-Wüste‘ – Militarismuskritische Bild-Montagen“ schreibt er – nicht nur – über seine Arbeiten: „Es werden sowohl Fragen aufgeworfen, als auch neue Perspektiven erschlossen. Bild-Montagen lassen die Welt auf andere Weise entstehen und andersartig – bis hin zur Uopie – sich entwickeln: Landschaften ebenso wie die Gesellschaft, Politisches ebenso wie Schönheit, Kunst ebenso wie Mythen, Geschichte ebenso wie Zukunft.“

Es gibt zwei Montagen von Rudolph Bauer, die das besonders sinnfällig machen. Auf ihnen sieht man, wie ein Panzer eingeklemmt ist zwischen dem Blumen-Ornament einer Tapete und der Hand eines Künstlers mit Malstift bzw. Gemälden des Leipziger Malers Bernhard Heisig – einem prominenten Vertreter der DDR-Kunst. Dazu wird im Katalog angemerkt, dass die Ornamentik oben und die Kunst unten so stark wirkten, „dass sie eigentlich nicht bezwungen werden können“. Ein frommer Wunsch? Eine Utopie? Zumindest eine Möglichkeit der Wahrnehmung solcher Bilder.

Die Wahrnehmung von Bildern hängt immer mit unseren Anschauungen von der Welt zusammen, sie ist subjektiv und unterschiedlich. Deshalb gibt es auch keine einzig gültige Interpretation von Bildern. Aber Bilder können unsere Anschauunngen von der Welt auch produktiv verunsichern, sie können zu neuen Erkenntnissen führen.

Zur „Bild-Montage als dialektischer Prozess“ schreibt Rudolph Bauer:

„Bild-Montagen intervenieren bzw. korrigieren und verändern das Bestehende, Faktische – teils kritisch, teils parodistisch, satirisch und karikaturhaft, teils auf heiter-spielerische Art, in ironischer Verkehrung. Sie ziehen in Zweifel und fordern dazu heraus, das, was existiert, nicht unwidersprochen hinzunehmen. Sie provozieren und nehmen Stellung. Bild-Montagen bringen die Wirklichkeit in Bewegung. Sie zeigen sie als form-und gestaltbar, veränderbar. Sie lassen uns hoffen: Das Gewohnte, Regelhafte und Gewöhnliche wird dialektisch in Frage gestellt und erschüttert, anders eingeordnet, in einen nicht erwarteten, überraschenden Zusammenhang gebracht. Auf diese Weise erweitern Bild- Montagen das Feld menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnis. Es entstehen andere Bezüge, andere Wertungen, ein anderer Kosmos.“

 

Finissage „Rüste-Wüste“

Finissage der Kunstausstellung „Rüste-Wüste“ und literarisch-musikalische Soirée
am Samstag, 28. Januar 2017, 18 Uhr,
in der Peace Gallery des Anti-Kriegs-Museums,
13353 Berlin-Wedding, Brüsseler Str. 21, Telefon 030 45490110

Es wirken mit:

Rudolph Bauer (Bremen) liest „Flugschriftgedichte“,
begleitet von Bernhard Meier (Berlin) auf der Soloposaune

Begrüßung: Tommy Spree, Anti-Kriegs-Museum

Eintritt frei

ANTI-KRIEGS-MUSEUM, 13353 Berlin, Brüsseler Straße 21 –
unterstützt von der Internationale der Kriegsdienstgegner/innen e. V.

www.anti-kriegs-museum.de
www.bremerfriedensforum.de

„Rüste-Wüste“

… heißt eine Publikation des Bremer Friedensforums mit militarismuskritischen Bild-Montagen des Sozialwissenschaftlers Rudolph Bauer (Bremen), der auch als bildender Künstler tätig ist. Der Titel nimmt Bezug auf den expressionistischen Maler und Dichter Otto Nebel, der den Ersten Weltkrieg an den deutschen Fronten im Osten und Westen überlebt hatte und 1926 die Schrift „Rüste-Wüste“ veröffentlichte. Die Bild-Bild-Bezüge in Bauers Montagen basieren auf Materialien, die den Alltag visuell bestimmen: vor allem auf Fotos, Grafiken, Werbung und anderen Druckerzeugnissen, wie sie in Zeitungen, Zeitschriften, Bildbänden, Prospekten, Katalogen, Plakaten oder im Internet veröffentlicht werden. Bauer will mit seinen Antikriegscollagen auf kritische, satirische oder karikaturistische Weise Stellung beziehen, intervenieren, provozieren, Gewohnheiten in Zweifel ziehen und Veränderungen anmahnen.

Rudolph Bauers Bild-Montagen, die sich nicht immer leicht erschließen lassen, werden begleitet von erläuternden Texten, die der Pastor i. R. Hartmut Drewes beigesteuert hat, der seit Jahrzehnten aktiv in der Friedensbewegung ist. Auf seiner Sinn- und Hintersinn-Suche verortet er die Montagen in der frühen Tradition künstlerischer Arbeiten gegen Militarismus und Krieg, etwa von Käthe Kollwitz oder Otto Dix – um dann die Eigenheiten und Auffälligkeiten der Werke Bauers herauszuarbeiten. Auffällig sei, so Drewes, dass Rudolph Bauer darauf verzichte, „die Grausamkeit des Krieges in den Mittelpunkt zu rücken“. Letztlich gehe es ihm darum, „Relativierung, Verschleierung und Verdrängung des Militarismus und der Militarisierung offenzulegen“, wie sie ins „schöne Leben“, ins Kommerzielle, ja in alle Lebensbereiche mehr oder weniger unauffällig und unbemerkt eindringen; wohl deshalb werden recht häufig Modeaccessoires mit Militärsymbolen, Modells mit Soldaten und Kriegsgerät kombiniert – Verknüpfungen, die Bauer unter „Mode und Mord“ verbucht. Tatsächlich ist Rudolph Bauer bestrebt, mit seinen Bild-Montagen die Ästhetisierung, Verharmlosung und Veralltäglichung des Militärischen zu entlarven. Es ist der Versuch, auf künstlerische Weise – dialektisch- überraschend, verfremdend, subtil oder plakativ – den Prozess der Militarisierung und die Schrecken des Krieges in das „visuell zugemüllte“ Bewusstsein zu heben, um auf diese Weise womöglich Denk- und Veränderungsprozesse in Gang zu setzen.
Rolf Gössner (Ossietzky – Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft, Nr. 14/2016)

Rudolph Bauer / Hartmut Drewes: „Rüste- Wüste“. Militarismuskritische Bild-Montagen, Rote Reihe_4 des Bremer Friedensforums, 52 Seiten DIN-A-4- Format, Spende erwünscht auf das Konto Ekkehard Lentz (Kennwort: Bremer Friedensforum), IBAN: DE 47 2501 0030 0123 2683 06, BIC: PBNKDEFF. Bestellung per E-Mail unter: info@ bremerfriedensforum.de. Eine Ausstellung von Bauers Montagen wird ab Mitte Oktober im Anti-Kriegs-Museum Berlin gezeigt, Brüsseler Straße 21, 13353 Berlin (anti-kriegs-museum.de).

 

Presse

https://www.jungewelt.de/2016/11-17/046.php

http://www.unsere-zeit.de/de/4847/kultur/4120/%E2%80%9ER%C3%BCste-W%C3%BCste%E2%80%9C.htm

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=23360

 

Ausgewählte Bild-Montagen/Collagen

Atlanten – Wo ist Elysium, die Insel der Seligen?

Ausstellung bis 17.02.2017
Künstlergespräch am 16.01. um 11 Uhr und um 17 Uhr

Bürgerhaus Gemeinschaftszentrum Obervieland
Alfred-Faust-Str. 4, 28279 Bremen

Das Bürgerhaus Gemeinschaftszentrum Obervieland (BGO) beherbert bis zum 17. Februar 2017 die Ausstellung „Atlanten“ von Rudolph Bauer. Gezeigt werden Bild-Montagen, die auf dem Untergrund von Atlanten entstanden sind.

Bei den Atlanten handelt es sich um ausgemusterte Landkarten, die im Schulunterricht für Erdkunde und Geschichte verwendet wurden. Durch die gestalterische Veränderung mit Collagen, aufgeklebten Ausschnitten von Zeitungen und Journalen, erhalten die Ausstellungsobjekte neue Bedeutungen: Anspielungen auf Historisches und Gegenwärtiges, Bezüge zu Politik, Gesellschaft und Kunst, Bilder von Schrecken und Krieg, von Flucht und Hoffnung.

Die Titel der ausgestellten Atlanten stellen unerwartete Fragen. Beispielsweise: „Wo ist Elysium, die Insel der Seligen?“- „Wo gehen wir ein ins verlorene Paradies?“ – Wo liegt Atlantis, die versunkene Stadt?“ – „Wo führt uns der Weg heim nach Utopia?“.

Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. lebten die Bewohner in Obervieland zum Großteil von der Landwirtschaft. Zum Teil waren sie auch als Steinsetzer und Straßenbauer tätig oder treidelten die auf der Weser fahrenden Handelsschiffe. Daher haben in diesem Stadtteil auch heute noch Landschaften, Flüsse, Straßen und Wege eine besondere Bedeutung.

Die geschichtlichen Besonderheiten des Lebens der Menschen im Umfeld der Ortsteile Habenhausen und Arsten sind für den Bremer Künstler Rudolph Bauer einer der Anknüpfungspunkte seiner Atlanten-Collagen. Ein weiterer Anknüpfungspunkt ist seine Montagen-Ausstellung, die vor genau einem Jahr ebenfalls im BGO gezeigt wurde. Unter dem Titel „Flucht“ thematisierten die damals gezeigten Bild-Montagen das Schicksal der Migranten aus jenen Ländern, die in der jetzigen Ausstellung auf den überklebten Atlanten zum Großteil kaum noch erkennbar sind: verlassenes Land, verlassene Kulturen, zurück gelassene Hoffnungen.

„Rüste-Wüste“

Bildmontagen im Anti-Kriegs-Museum Berlin

Von Hilmar Franz / Unsere Zeit vom 25. November 2016

Das Anti-Kriegs-Museum in Berlins Wedding zeigt, unterstützt von der Internationale der Kriegsdienstgegner/innen (IDK), noch bis 29. Januar 2017 militarismuskritische Bildmontagen von Rudolph Bauer. Der Politikwissenschaftler, der bis 2002 als Professor an der Universität Bremen wirkte, versteht seine künstlerische und schriftstellerische Tätigkeit ebenso als Mittel zu breiter Aufrüttelung, wie er 2014 in Berlin eine zusammenführende Antikriegskonferenz mit initiierte.
Der Ausstellungstitel „Rüste-Wüste“ zitiert eine 1926 erschienene Mahnschrift des expressionistischen Dichters und Malers Otto Nebel über die Schrecken des ersten Weltkriegs. Zu Rudolph Bauers darauf bezugnehmende Antikriegscollagen aus Bilder- und Textschnipseln gehört „Gott sei Tank“ von 2015.
Die Arbeit lässt an die deutsch-französischen Machtkämpfe um die EU-Militärpolitik denken, an die entscheidende Berliner Drohgebärde 2014, die „deutsch-französische Brigade“ nicht aufzulösen, sondern zu aktivieren. Die damit gestellten Weichen für die Einbindung Frankreichs in eine deutsch-europäische Weltpolitik führte gleich im ersten Schritt zu einer EU-Mission, um die französischen Truppen in Mali „beim Kampf gegen und Schutz vor islamistischen Kräften“ zu entlasten. Der Think Tank „Wissenschaft und Politik“ maß der deutschen Chance größere Bedeutung bei, innerhalb der NATO neue globale Macht zu erlangen, als der Wirkung, die der US-Hauptverbündete unter Bush-Nachfolger Obama in den mit Krieg überzogenen Ländern der islamischen Welt erzielen könnte.
Nach der Wahl Trumps in den USA sind jetzt in Brüssel aus der Schublade geholte Pläne für eine deutsch geführte „Europäische Verteidigungsunion“ wieder brandaktuell, zumal Merkel – auf Augenhöhe – künftige überseeische „Zusammenarbeit“ von „gemeinsamen Werten“ abhängig machen will: Trumps bisherigen Äußerungen entgegengesetzt sind Phantasien eines US-Militärstrategen, wonach zwei Optionen zur Verfügung stünden, um „Moskau in die Schranken zu weisen“: Entweder verschärfe man die Sanktionen gegen Russland, oder man eskaliere den Konflikt in Syrien militärisch.
Die Ausstellung im Anti-Kriegs-Museum ist täglich von 16 bis 20 Uhr geöffnet. Eintritt frei, Spenden erwünscht. Katalog (mit Texten von Hartmut Drewes), herausgegeben vom Bremer Friedensforum. Bestelladresse: Bremer.Friedensforum@gmx.de